Dortmunder Depesche

Klimawandel und Energiewende: Was würden Controller tun?

Prof. Dr. Thomas Reichmann

„Controlling ist die zielbezogene Unterstützung von Führungsaufgaben, die der systemgestützten Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung zur Planerstellung, Koordination und Kontrolle dient; es ist eine Rechnungswesen- und Vorsystemgestützte Systematik zur Verbesserung der Entscheidungsqualität auf allen Führungsstufen der Unternehmung.“

Als in den 70er Jahren die Komplexität in den Unternehmen rasant gestiegen ist, erkann-ten die Führungskräfte – Vorstände und Geschäftsführer, dass es einer Instanz bedarf, die sie bei wesentlichen Entscheidungen mit validen Informationen unterstützt sowie Instru-mente und Methoden bereithält, die der effektiven Zielerreichung zweckdienlich sind.

 

Inzwischen sind knapp 50 Jahre vergangen und ich freue mich außerordentlich, dass die damalige Vision eines Controllings in der Breite der Unternehmen Anklang gefunden hat! Das Controlling, heute unterstützt durch „BI“ und zunehmend auch „KI“, ist in seinem Kern stets unverändert geblieben und aus den Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Ganz im Gegenteil: Es hat erheblich zum Wohlstand in Deutschland beigetragen! 

 

Konzeptionell ergänzt um aktuelle Themen wie z.B. das Risiko- und das Projekt-Controlling und technologisch immer am Puls der Zeit liefert es Tag für Tag wertvolle Unterstützung für die Führungskräfte. Wir Controllerinnen und Controller können stolz auf diese Leis-tung sein!

Insbesondere in politischen Diskussionen lassen sich indes oftmals und verstärkt Situatio-nen erkennen, die denen im Unternehmenssektor vor der Entwicklung des Controllings entsprechen: Es wird nach Gefühlslage (ideologisch) gehandelt, wesentliche Informatio-nen werden entweder nicht systematisch erhoben oder nicht angemessen berücksichtigt, es fehlt an der Koordination einzelner Maßnahmen, der realistischen Definition von Zie-len und nicht zuletzt einer rationalen Kosten-/Nutzen-Analyse. Controllerinnen und Con-trollern ist solch ein Handeln ein Graus. 

 

Mit diesem Beitrag im Rahmen der Dortmunder Depesche möchte ich ein gedankliches Experiment Wagen: Was würden Controller tun, wenn sie mit den Schlagworten „Klima-wandel & Energiewende“ konfrontiert wären?

 


Herr Prof. Dr. Reichmann

Seit mehr als 40 Jahren steht die Marke Prof. Dr. Reichmann für Controlling-Exzellenz in Wissenschaft und Praxis. Durch Arbeitskreise, Kongresse und Gutachten ist  Prof. Dr. Thomas Reichmann und sein wissenschaftliches Netzwerk als Innovator in Sachen Controlling in Deutschland und darüber hinaus bekannt. Als Mitherausgeber der Zeitschrift  für Controlling und Autor einiger Standardwerke gilt Prof. Dr. Reichmann als Institution in Sachen Controlling.



Entscheidungsorientierte Informationsqualität: Eine effektive Klimapolitik beruht auf prä-zisen Daten und Analysen, um den aktuellen Stand der Umweltauswirkungen zu verste-hen und die Wirksamkeit von Maßnahmen zu überwachen; hier sollte auch eine langfris-tige, die Vergangenheit berücksichtigende Perspektive gewählt werden. Viele Darstellun-gen beginnen, ob der rund 2 Millionen Jahre alten Menschheitsgeschichte und der etwa 3,5 Milliarden Jahre alten Geschichte des Lebens auf der Erde, oftmals mit dem Beginn der industriellen Revolution oder später und sind daher nur bedingt langfristig angelegt; hinsichtlich der „Spielregeln des Wetters“ empfiehlt sich zudem auch ein Blick in wieder-kehrende Wetterlagen abseits eines Klimawandels wie z.B. im Hundertjährigen Kalender (auch: „Bauern-Kalender“) angelegt. 

 

Gleichfalls müssten die Auswirkungen der energiepolitischen Maßnahmen ebenfalls auf eine solide Basis gestellt werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten sind dabei unerlässlich. Gerade auch die Stimmen volkswirtschaftlicher Experten wie die von Herrn Kollegen Sinn sollten hierbei beachtet werden. Energiekosten, Wettbewerbsfähigkeit und Kennzahlen zum Industriestandort Deutschland sollten systematisch in die Diskussion einfließen. 

 

Zielorientierung und Wirksamkeit: Um den Klimawandel zu bewältigen, müssen klare Zie-le gesetzt werden, wie beispielsweise die globale (!) Reduzierung der Treibhausgasemissi-onen, der globale Ausbau erneuerbarer Energien oder die globale Förderung nachhaltiger Landnutzung. Dabei muss berücksichtigt werden, welche Ziele auf nationaler und welche auf internationaler Ebene zu setzen sind, damit diese auch ihre Wirkung entfalten. Mo-mentan werden nationale Ziele gesetzt, die global keine Wirkung entfalten können und ein Nullsummenspiel darstellen. Nationale Alleingänge sind (so die bittere Realität) meis-tens nicht zielführend, sondern allenfalls ein moralisches Feigenblatt: Ein Nachfragerück-gang bei z.B. Rohöl in Deutschland führt bei gleicher Fördermenge (und die ist – so auch die bittere Realität – von dieser Nachfragschwankung entkoppelt) zu sinkenden Preise auf den Weltmärkten. In der Folge wird der Nachfragerückgang in Deutschland durch andere Nachfrager substituiert und die Menge an freigesetzten Kohlenstoffdioxid ändert sich nicht (wohl aber ggf. die freigesetzten Schadstoffe, wenn die „neuen Verbraucher“ in Ent-wicklungs- und Schwellenländern weniger moderne Reinigungssysteme im Einsatz haben). Uns gebührt dann selbstverständlich a) das gute „grüne Gewissen“ und b) das gute Ge-fühl, für andere den Erdölverbrauch finanzierbar gemacht zu haben – was entwicklungs-politisch ggf. durchaus zu begrüßen ist.

 

Planung und Kontinuität: Der Klimawandel und die Energiepolitik sind langfristige, globale Herausforderung, die kontinuierliches Handeln erfordern. Es ist wichtig, dass die ergriffe-nen Maßnahmen nicht nur kurzfristig wirken, sondern auch langfristige Auswirkungen berücksichtigt werden. Hierzu ist Planungssicherheit ein entscheidender Faktor. Die mo-mentane politische Kultur sieht aber ein stetiges „hin und her“, stets Ausstiege aus dem Ausstieg vor. So z.B. in der Atomenergie: Ausstieg aus der Atomenergie unter „Rot-Grün“, dann Ausstieg aus dem Ausstieg unter Merkel. Nach Fukushima dann Ausstieg aus diesem Ausstieg usw. – und mit dem momentanen Ausstieg ist Deutschland einzigartig in der Welt. Alle anderen Länder sind momentan scheinbar als „Geisterfahrer“ in der falschen Richtung unterwegs, einschließlich der EU, die uns dazu bringen wird, „grünen Atom-strom“ in anderen Ländern zu fördern und zu kaufen. Wir werden auf diese Atomstrom-Importe ohnehin zukünftig angewiesen sein, weil „Dunkelflauten“ dazu führen werden, dass allein mit dem Strom aus Solarkraft und Windkrafträdern kein Industrieland zu ver-sorgen ist. Sofern denn der (politische) Wille besteht, ein Industrieland bleiben so wollen – manchmal kann man hier einen anderen Eindruck gewinnen.

 

Transparenz und Anreize: Controller bauen Führungsinformationssysteme und daran an-gegliedert auch Anreizsysteme auf. Verbote und strikte Anweisungen sind in einer moder-nen Unternehmenslandschaft kein gutes Führungsprinzip. Entsprechend befürworten Controller/innen marktwirtschaftliche Lösungen und – damit einhegend – Preis- und Kos-tentransparenz. Die Kosten der Energiewende durch steuerfinanzierte Umlagen zu „ver-stecken“ kann nicht in ihrem Sinne sein. Ebenso müssen die externen Effekte eines Le-bensstils zu Lasten der Umwelt konkret bepreist werden. Während bei Letzterem momen-tan Fortschritte zu verzeichnen sind, sind bei Erstgenannten Rückschritte zu verzeichnen. 

 

Mut und Weitsicht: Neben „hard facts“ sind Controller auch Visionäre und – ja, auch Idea-listen. Die technische Entwicklung ermöglicht es durchaus, dass wir die Umwelt bewahren und zugleich in einem angemessenen Wohlstand leben können. Mut erfordert es aber zu sagen, dass Verzicht nötig sein wird: Nicht jeder auf der Welt wird einen Elektro-SUV fah-ren können, das geben die Ressourcen des Planeten nicht her. Dementsprechend ist ein Elektro-SUV auch nicht grün, sondern ein ökologischer Fauxpas. Rund 2 Tonnen Masse zu bewegen, damit 80 kg von A nach B kommen, ist stets ein energiepolitisches Problem (die Relation: „beförderte Masse/Gesamtmasse“ ist hier 80 kg / 2.000 kg = 4%; dies wäre indes ggf. eine interessante Kennzahl für die Subventionierung/Besteuerung von Automobilen). 

 

Risikomanagement mit schwachen Signalen: Das Controlling erkennt Fehlentwicklungen bereits frühzeitig, risikominimierenden Maßnahmen werden bereits proaktiv getroffen. Momentan wird jedes Wetterphänomen als Fingerzeig des Klimawandels verstanden. Bei anderen „schwachen Signalen“ funktioniert der Mechanismus weit weniger: Inflation, die Entwicklung der Automobilindustrie und die aktuellen Umfrageergebnisse bei der „Sonn-tagsfrage“ – hier tut man sich offenkundig schwerer, das dahinterstehende Muster zu er-kennen. Im Risiko-Controlling hat es sich noch nie bewährt, Risiken in der Hoffnung einzu-gehen, dann bei deren Eintritt dann „plötzlich“ ein risikosteuerndes Instrument da sein wird. So auf die „Blinden zu reizen“ ist fahrlässig. Das gilt auch für das „Versprechen“, dass beizeiten schon genug Speicherkapazitäten für „grüne Energie“ da sein wird – wenn wir nun nur mutig vorangehen. 

 

Sparringspartner des Managements: Das Controlling unterstützt, evidenzbasierte Ent-scheidungen zu treffen, indem es Informationen über die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen aufzeigt und die besten Maßnahmen für die Zielerreichung identifiziert: Er-folgsorientierte Unternehmenssteuerung! Verantwortlich ist der Manager, dem grundsätz-lich das Vertrauen des Controllings gebührt. Doch auch diese Loyalität hat Grenzen: Ha-sardeuren wird sich das Controlling stets entgegenstellen! 

 

Liebe Controllerinnen, liebe Controller, die Herausforderungen in unseren Tagen sind groß. Umso wichtiger sind valide, belastbare Informationen und ein Handeln mit Weit-blick. Vielleicht sollten wir uns stärker als bisher hier einbringen.

 

27.09.2023 - Veröffentlicht von der Controlling Innovations Center GmbH